Abschlussbericht
Zusammenfassung
Wie können wir das kreative Potential der Zivilgesellschaft bündeln und gemeinsam an Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen durch Covid-19 arbeiten?
“Hacken” heißt, gemeinsam kreative Lösungen für eine Herausforderung zu finden. Vom 20.-22. März 2020 haben über 28.000 Bürger:innen gemeinsam in Projektteams an Herausforderungen durch Covid-19 gearbeitet. Zur Teilnahme im virtuellen Raum waren alle eingeladen, die Zeit, Lust und Internetzugang hatten. Die Herausforderungen kamen aus der Mitte der Gesellschaft: eingereicht von Bürger:innen, Verbänden, Unternehmen und aus der Verwaltung. Mit über 28.000 Teilnehmer:innen war der #WirVsVirus Hackathon der größte Hackathon der Welt. #WirVsVirus stand unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung und wurde von Tech4Germany, Prototype Fund, Impact Hub Berlin, ProjectTogether, SEND e.V., Initiative D21 und Code for Germany initiiert und gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt innerhalb von fünf Tagen ehrenamtlich und rein digital organisiert und umgesetzt. Durch den #WirVsVirus Hackathon wurden 1.500 Projektideen und Lösungsansätze mit Wirkungspotential in der Corona-Pandemie entwickelt, von denen 200 Projekte ausgezeichnet wurden.
Im Anschluss an den Hackathon schufen die Organisator:innen des Hackathons unter Schirmherrschaft des Chefs des Bundeskanzleramts das #WirVsVirus Umsetzungsprogramm: Für die nachhaltige Umsetzung und Skalierung wurden 147 Lösungsansätze von April bis Oktober 2020 bei der effektiven Weiterentwicklung und Implementierung begleitet. Dazu bekamen sie unbürokratischen Zugang zu Expertise und Ressourcen. im Projekte zusammen zu bringen, Ideen koordiniert zu testen und schnell zu lernen, welche Lösungen am effektivsten sind. Das Umsetzungsprogramm besteht aus vier Bausteinen. Konkrete Lösungen und Erfolgsbeispiele wurden auf der Webseite unter Projekte oder auf dem Twitter Kanal @WirVsVirus veröffentlicht. Das #WirVsVirus Umsetzungsprogramm war eine einzigartige Kooperation zwischen Zivilgesellschaft, Unternehmertum, Wirtschaft und Staat.
Von den 147 Projekten sind nach dem Abschluss des Programms 51 Lösungen im Einsatz, 17 haben sich zusammengeschlossen. 70 Projekte sind weiterhin aktiv (Stand Dez. 2020). Auch weitere Projekte aus dem Hackathon, die nicht im Umsetzungsprogramm waren, sind weiterhin aktiv. Der Hackathon selbst wurde vollständig unentgeltlich umgesetzt, das Umsetzungsprogramm wurde mit ca. EUR 1.6 Mio. öffentlichen und ca. EUR 900.000 privaten Fördergeldern finanziert, dazu kommen ca. EUR 800.000 finanzielle Unterstützung von Projektteams, die zusätzlich im Rahmen der Crowd-Funding Kampagne mobilisiert wurden.
Lessons learned
Erfolgsfaktoren
- Die Schirmherrschaft durch die Bundesregierung Deutschlands hatte eine hohe Signalwirkung. Die dadurch entgegengebrachte Wertschätzung stellte eine langfristige Motivation der Teams sicher.
- Dank einer klaren Vision durch vorab definierte Werte konnte das Organisationsteam fokussiert und ergebnisorientiert arbeiten.
- Transparenz über den Prozess und ein strukturgebendes Programm ermöglichten ein dezentrales und agiles Vorgehen.
- Organisator:innen und involvierte Partner:innen leisteten wichtige Übersetzungsarbeit zwischen Verwaltungsprozessen und Innovationsmethoden und agilem Vorgehen.
- Der hohe persönliche Zeiteinsatz von Beschäftigten des öffentlichen Sektors ermöglichte eine solide und offene Zusammenarbeit mit Hackathon-Projekten.
- Digitale Plattformen sowie regelmäßige Formate für Austausch und Kollaborations schufen ein dauerhaftes Community-Gefühl mit sich gegenseitig stärkenden Peer-Groups.
- In formalen und informellen Feedback-Prozesse konnten die Organisator:innen die Unterstützungsbedarfe der Teilnehmenden identifizieren und in der Weiterentwicklung des begleitenden Angebots für die Projektteams berücksichtigen.
Herausforderungen
- Im Hackathon-Format entwickelten die Teilnehmenden zum Teil ähnliche Lösungen parallel. Diese galt es für die weitere Umsetzung zu konsolidieren.
- Im Format des 48-Stunden-Sprints konnten wesentliche Rahmenbedingungen und Restriktionen für die tatsächliche Umsetzbarkeit und Skalierung nicht ausreichend berücksichtigt werden.
- Der Zeiteinsatz zur Betreuung eingereichter Herausforderungen wurde teilweise unterschätzt. Daten, Informationen und Ansprechpersonen waren nicht immer kurzfristig verfügbar.
- Die Handlungsfelder waren teilweise zu Beginn nicht flexibel genug gestaltet, um pandemiebedingte Veränderungen bei den Herausforderungen im Verlauf des Umsetzungsprogramms wirkungsgerecht abbilden zu können.
- Öffentliche Finanzierungs- und Förderinstrumente konnten nicht direkt im Anschluss an den Hackathon zur Verfügung gestellt werden. Die Limitierung existierender Förderkonstrukte, ihre befristete Verfügbarkeit und Förderkriterien stellten teilweise eine Barriere für die Projektteams dar.
- Möglichkeiten für den nachhaltigen Aufbau der Lösungen zu verstehen und zu evaluieren, war für viele der Projektteams eine inhaltliche und prozessuale Herausforderung.
Handlungsempfehlungen für künftige Formate
Relevante Umsetzungspartner:innen frühzeitig einbinden
Für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Politik/Verwaltung und Zivilgesellschaft ist die enge Einbindung der Entscheidungsträger:innen in Verwaltungsstrukturen und deren fachliche und prozessuale Expertise entscheidend. Innovationsteams innerhalb der Verwaltungsstrukturen können die Schnittstelle zwischen den Teams, den zivilgesellschaftlichen Initiativen und den fachlich zuständigen Referaten von Verwaltungsseite bilden. Die frühzeitige Einbeziehung der für Förder- oder Beschaffungsmaßnahmen zuständige Stellen ist notwendig.
Diversität in Entscheidungsgremien und Perspektivenvielfalt in Projekten sicherstellen
Diversität unter Teilnehmenden und in allen Stakeholder-Gruppen ist essentiell, um dem Anspruch gerecht zu werden, die Perspektivenvielfalt und Breite der deutschen Gesellschaft in einem gemeinsamen Problemlösungsprozess einzubinden. Diversität ist die Grundlage für diskriminierungskritisches Handeln. Dazu braucht es ein fundiertes Diversity-Konzept, das Diversität und gleichberechtigten Zugang und Teilhabe zur Teilnehmerschaft aber auch in Entscheidungsgremien unabhängig von Migrationsbiografie, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung, Persönlichkeit, sozioökonomischen Status und weiteren Dimensionen sicherstellt. Um eingereichte Herausforderungen und Lösungsansätze nachhaltig bewerten und bearbeiten zu können, sind insbesondere Interessen von marginalisierten Gruppen bewusst einzubeziehen, um strukturellen Nachteilen entgegenzuwirken und die Nachhaltigkeit der entwickelten Lösungen zu stärken.
Innovationskultur im föderalen Kontext fördern
Im Verlauf des Umsetzungsprogramms tauchten für Mitarbeiter:innen in den Verwaltungen rechtliche und prozessuale Fragen auf: Wie kann sich die Verwaltung proaktiv engagieren und mit Teams zusammenarbeiten ohne bestehende Vorschriften und Konventionen zu verletzen? Es empfiehlt sich daher, die Best-Practices von der bisherigen Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Teams aus rechtlicher Sicht zu analysieren und eine entsprechende Verwaltungsvorschrift zu veröffentlichen, welche die verwaltungsrechtliche Behandlung der Zusammenarbeit adressiert. Gerade der Föderalismus bietet eine Chance: Im Kleinen können die Teams ihre Anwendungen mit lokalen Behörden oder Instituten testen. Anschließend braucht es das effektive Skalieren der wirkungsvollsten Lösungen. Notwendig ist dazu in den Verwaltungen eine offenere Innovationskultur und -struktur. Dafür ist es förderlich, föderal übergreifend organisatorische und kulturelle Schnittstellen aufbauen.
Flexible Finanzierungs- und Förderinstrumente schaffen
Es braucht seitens Bund und Länder flexiblere Rahmenbedingungen, um neue und wirkungsvolle digitale Lösungen, die sich bereits im kleinen Rahmen bewährt haben und in Zusammenarbeit mit Anwender:innen und Expert:innen entwickelt wurden, rasch zu implementieren. Neben der Öffnung bestehender Programme benötigt es den Aufbau von Finanzierungs-/Förderinstrumenten, die auch über die Prototypenphase hinausgehen. Für die Skalierung und systematische Implementierung gehen gerade im sozialen Bereich häufig Fördermittel aus. Das kann dazu führen, dass erfolgsversprechende Ansätze nicht weiterverfolgt werden können und in in späteren Projekten erneut von null entwickelt werden müssen.
Evaluation begleitend, nicht nachträglich
Die unabhängige Begleitforschung ermöglichte eine iterative Weiterentwicklung des Umsetzungsprogramms auf Basis des Feedbacks der beteiligten Akteur:innen und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Eine unabhängige Evaluation sollte auch künftig die Wirkung der Projekte sowie die Erfolgsfaktoren und Hindernisse in der Entwicklung, Pilotierung und Umsetzung beleuchten. Diese Evaluation sollte begleitend zur Umsetzung stattfinden und in einer regelmäßigen Neugestaltung des Open-Social-Innovation-Prozesses resultieren, um diesen selbst zu verbessern und weiterzuentwickeln. Das Prinzip von Open Social Innovation wird damit nicht zuletzt auf den Prozess selbst angewendet: Er sollte selbst iterativ und gemeinsam mit den zentralen Akteur:innen weiterentwickelt und mit einer sozialen Innovationsstrategie für Deutschland verbunden werden.
Fazit und Ausblick
In der Corona-Krise wurde ein neues Instrument für die aktive Beteiligung von Bürger:innen an der Gestaltung von Politik und gemeinwohlorientiertem Handeln der Verwaltung erprobt. #WirVsVirus war ein Experiment eines neuen Miteinanders zwischen Bürger:innen und Regierung, das den Ideenreichtum der Zivilgesellschaft mit der Umsetzungskraft des Staates verband. Mit einem starken Effekt: Nach der digitalen Gemeinschaftsaktion gaben 57 Prozent der Teilnehmer:innen in einer Umfrage an, dass ihr Vertrauen in die Regierung durch den Hackathon gestärkt wurde. Für die Demokratie birgt dies eine große Chance: Was aus der Not heraus binnen kürzester Zeit entstand, kann weiterentwickelt, etabliert und auf weitere gesellschaftliche Herausforderungen übertragen werden.
Dieser Open-Social- Innovation-Prozess verbindet bottom-up gesellschaftliches Engagement und top-down politische Schwerpunktsetzung. Open Social Innovation steht für einen breiten, inklusiven Beteiligungsprozess (Open), um gesellschaftliche Herausforderungen (Social) mit neuen Lösungen (Innovation) zu adressieren. Die Innovationskraft der Zivilgesellschaft und die Umsetzungskraft etablierter Institutionen werden wirksam, Akteur:innen zur Unterstützung der Lösungen dabei eingebunden.
Jetzt gilt es, die Erkenntnisse über Erfolgsfaktoren und Fehler aus dem #WirVsVirus Hackathon und seinem Umsetzungsprogramm sowie die Ergebnisse der unabhängigen Begleit-Evaluation in die Weiterentwicklung des Open-Social-Innovation-Prozesses einfließen zu lassen. Das Konsortium möchte 2021 Möglichkeiten evaluieren, einen solchen Prozess als dauerhaftes Werkzeug für Bürger:innen zu etablieren im Sinne eines zentrierten, innovativen und partizipativen staatlichen Handelns, mit dem sich wirksame Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen in Deutschland finden und entwickeln lassen.
Ein zweiter Open-Social Innovation- Prozess in 2021 unter Beteiligung der öffentlichen Hand auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene wird aktuell durch ProjectTogether und N3xtcoder verwirklich. Mehr dazu auf www.updatedeutschland.org.